Mein Mord und seine Folgen

Einsatz der Polizei

Dass ich die Ver­ant­wor­tung und Kon­se­quen­zen mei­nes Han­delns tra­gen muss, war mir sofort nach der Tat klar. Dass es eska­liert ist, war mei­ne Schuld, das habe ich schnell akzep­tiert. Es hat aller­dings sehr vie­le Jah­re gedau­ert, um die Tat­sa­che, dass ich einem Men­schen das Leben genom­men habe, in mein Den­ken, Füh­len und Han­deln inte­grie­ren zu kön­nen. Wie es zu die­ser Tat kom­men konn­te, wie es hät­te anders kom­men kön­nen, was es für die Opfer bedeu­tet, wie ich zu deren Hei­lung bei­tra­gen und was ich dar­aus für mich ler­nen kann – all das sind Fra­gen, für deren Beant­wor­tung ich sehr lan­ge brauch­te und bis heu­te noch nicht fer­tig bin. Freun­de und Seel­sor­ger hel­fen mir wei­ter­hin bei der Reflek­ti­on. Mei­ne Tat ist wie ein Ruck­sack, den ich mein Leben lang nicht mehr abset­zen kann. Er ist sicht­bar für alle. Und ich muss­te ler­nen, die­sen Ruck­sack zu tragen.

Ich habe mit gro­ßer Wucht kör­per­li­che Gewalt aus­ge­übt, das erst Mal in mei­nem Leben. All das, was sich über Jah­re unse­rer zer­rüt­te­ten Ehe auf­ge­staut hat­te, Tren­nun­gen, Ent­täu­schun­gen und Fra­gen nach der Sor­ge um das gemein­sa­me Kind und ande­res mehr, hat­te sich dann ent­la­den. Zurück blieb ein irrepa­ra­bler Scher­ben­hau­fen für vie­le Men­schen und auch für mich selbst.

Ich wur­de zu lebens­lan­ger Haft ver­ur­teilt und habe 15 Jah­re im Gefäng­nis ver­bracht. Habe ich die­se Stra­fe ver­dient? Sind 15 Jah­re genug für jeman­den, der einen Men­schen getö­tet hat? Es gibt kei­ne Stra­fe, die das Leben eines Men­schen „auf­wie­gen“ kann. Des­we­gen kann ich die­se Fra­ge nicht beant­wor­ten und ich den­ke auch, dass mir selbst eine Ant­wort auf die­se Fra­ge nicht zusteht. Aber ich kann sagen, wor­in ich viel mehr Sinn für die Opfer, die Gesell­schaft und auch für mich selbst gese­hen hät­te: Wenn ich mit Hil­fe pro­fes­sio­nel­ler Unter­stüt­zung früh­zei­tig hät­te ver­su­chen kön­nen, mich dem Scher­ben­hau­fen zuzu­wen­den, um zu sehen, ob es an klei­nen Punk­ten Mög­lich­kei­ten gibt, für die Hin­ter­blie­be­nen Schmerz zu lin­dern, zur Ver­stän­di­gung in all den ver­letz­ten Bezie­hun­gen bei­zu­tra­gen. Kurz: Wenn es Chan­cen der (stell­ver­tre­ten­den) Wie­der­gut­ma­chung gege­ben hätte.

Der Wunsch nach psy­cho­lo­gi­scher Hilfe


Mei­ne Anfangs­zeit im Gefäng­nis war von Ver­su­chen geprägt, das Tat­ge­sche­hen zu ver­ste­hen. Mein Wunsch nach einer psy­cho­lo­gi­schen Betreu­ung wur­de von­sei­ten der Jus­tiz jah­re­lang mit der Begrün­dung abge­wie­sen, dass durch mei­ne lan­ge Haft­stra­fe ja noch Zeit wäre. Nach fünf Jah­ren und unzäh­li­gen Ver­su­chen fand ich dann durch hart­nä­cki­ge eige­ne Bemü­hun­gen eine Psy­cho­lo­gin, die sich bereit erklär­te, mit mir the­ra­peu­tisch zu arbei­ten und der ich auch ver­trau­en konn­te. In Haft Ver­trau­en zu Fach­diens­ten zu fin­den, ist ein sehr gro­ßes Pro­blem, durch die feh­len­de Schwei­ge­pflicht des sozi­al­päd­ago­gi­schen, psy­cho­lo­gi­schen aber auch medi­zi­ni­schen Dienstes.

Eine der prä­gends­ten Situa­tio­nen war eine soge­nann­te Begeg­nungs­wo­che im Gefäng­nis, als mich mei­ne spä­te­re Betreue­rin frag­te, ob ich etwas zum The­ma Schuld sagen könn­te. Ich habe ver­sucht, vor 45 Inhaf­tier­ten und 15 ehren­amt­li­chen Mit­ar­bei­tern mei­ne Schuld irgend­wie in ein­zel­ne Tei­le zu zer­le­gen. Ich zähl­te alle Per­so­nen, denen ich gescha­det hat­te. Von Eltern über Geschwis­ter und Kin­der bis zum gemein­sa­men Freun­des­kreis. In die­ser Situa­ti­on, sag­te mei­ne Betreue­rin spä­ter, sei für sie deut­lich gewor­den, dass ich mei­ne Schuld als so groß emp­fun­den habe, dass ich mich immer nur einem klei­nen Teil davon zuwen­den konn­te – Name für Name.

Zwang und Misstrauen


Hat das Gefäng­nis mich zu einem ande­ren Men­schen gemacht? Zu einem bes­se­ren? Zu einem schlech­te­ren? Fest steht, dass die Haft vie­le Wesens­zü­ge von mir ver­än­dert hat, in posi­ti­ver und nega­ti­ver Wei­se. Nega­tiv ist sicher, dass mein Grund­ver­trau­en in Demo­kra­tie, Poli­tik und Jus­tiz dra­ma­tisch erschüt­tert wur­de – irrever­si­bel sogar. Mit dem Kopf weiß ich noch, dass öffent­li­che Amts­per­so­nen eigent­lich unser aller „Freund und Hel­fer“ sein soll­ten, aber im Umgang mit allem, was den Staat reprä­sen­tiert, bin ich zutiefst miss­trau­isch gewor­den und habe extre­me Anten­nen für Unge­rech­tig­keit, Macht­miss­brauch und Will­kür ent­wi­ckelt. Der Idea­lis­mus, mit dem ich frü­her als Offi­zier und Beam­ter die­sem Staat gedient und ihn ver­tei­digt habe, ist tief ent­täuscht wor­den. Was hin­ter den Mau­ern der Jus­tiz vor sich geht, hät­te ich in mei­nem frü­he­ren Leben nie geglaubt und hät­te jeden einen Lüg­ner genannt, der ande­res behaup­tet hätte.

Die gesam­te Haft­zeit ist von Zwang und gegen­sei­ti­gem Miss­trau­en geprägt. Wie sol­len sich Men­schen in einer Atmo­sphä­re, die sich täg­lich wie ein Minen­feld anfühlt, zum Posi­ti­ven verändern?

Für den Betrof­fe­nen und sei­ne Bezugs­per­so­nen führt Haft in der Regel zu ernied­ri­gen­den Gefüh­len, Ent­selbst­stän­di­gung und Deso­zia­li­sie­rung. Nur die­je­ni­gen, die vor­her schon beson­ders lebens­tüch­tig, stark und plan­voll ihr Leben gelebt hat­ten, kön­nen viel­leicht hof­fen, die Haft halb­wegs ohne Lang­zeit­schä­den zu über­ste­hen und danach viel­leicht wie­der in eine Art gere­gel­tes Leben zurück­zu­fin­den. Für die meis­ten Inhaf­tier­ten aber führt die Zeit und die Art und Wei­se von Haft zu blei­ben­den Schä­den und zu einem Leben, das pro­ble­ma­ti­scher gewor­den ist als vor der Haft.

Frei­heit muss vor­be­rei­tet werden


Ich habe das Gefäng­nis als abschre­cken­des Bei­spiel für den Umgang des Staa­tes mit ein­zel­nen Men­schen erlebt. Durch die­se Erfah­rung hat sich aller­dings ganz sicher mei­ne Empa­thie für Rand­grup­pen der Gesell­schaft ver­bes­sert, mei­ne Bereit­schaft, Men­schen in Not ohne Anse­hen der Per­son oder Tat zu hel­fen, sozia­les bür­ger­schaft­li­ches Enga­ge­ment zu leben und jedem Men­schen in sei­ner von Gott gege­be­nen Wür­de zu begeg­nen. Die Nächs­ten­lie­be ist bei mir zu einem bestim­men­den Wesens­zug geworden.

Nach fast 20 Jah­ren der per­sön­li­chen Erfah­rung und theo­re­ti­schen Beschäf­ti­gung mit dem The­ma Reso­zia­li­sie­rung kann ich sagen, dass ich in Deutsch­land kein Sys­tem und kei­nen Haft­ort ken­ne, an dem Reso­zia­li­sie­rung wirk­lich gelin­gen wür­de. Das Haupt­pro­blem ist der man­geln­de poli­ti­sche Wil­le. Im Zwei­fel flie­ßen alle – ohne­hin viel zu knap­pen – Res­sour­cen in die ver­meint­li­che Erhö­hung der Sicher­heit. Ob und wie die Haft­ent­las­se­nen drau­ßen zurecht­kom­men, dafür emp­fin­det sich der Straf­voll­zug als nicht mehr zustän­dig. Der Straf­ge­fan­ge­ne, der in Haft zu gefähr­lich für die Frei­heit gewe­sen sein soll, muss sich von einem Tag auf den ande­ren in der Gesell­schaft zurecht­fin­den. Ohne Über­prü­fung, ob sich jemand drau­ßen zurecht­fin­det und an wel­chen Stel­len man noch unter­stüt­zen müsste.


Quelle: www waswärwenn von Pedro Holzhey