Entscheidung in Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht i Deutschland

Gefangene haben einen Anspruch auf Lockerungen im Strafvollzug, um ihnen den Weg für ein späteres Leben in Freiheit zu ebnen. Bewachte Ausführungen seien zu ermöglichen, so das Bundesverfassungsgericht.

Totschlag, Mord und Kindesmissbrauch - die drei Gefangenen, die sich aus unterschiedlichen Haftanstalten an das Bundesverfassungsgericht gewandt hatten, sitzen wegen schwerer Delikte schon viele Jahre. Alle drei wollten ausgeführt werden. Allen dreien wurde das von der jeweiligen Anstaltsleitung verwehrt, mit dem Hinweis darauf, dass sie das nicht bräuchten. Sie seien nicht erkennbar von der Haft geschädigt. Und die Instanzgerichte, an die sich die Gefangenen anschließend wandten, waren mit den Anstaltsleitungen einverstanden: Das Ausführen wurde versagt.

"Gefängnis schadet den Insassen"

Die Verfassungsrichter sehen das aber anders und hoben die Beschlüsse ihrer Kollegen aus den Instanzgerichten auf. Wenn diese Haftentscheidungen überprüfen, müssten sie genauer hinsehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon in früheren Entscheidungen anerkannt: Gefängnis schadet den Insassen. Besonders langjährige Haft habe schädliche Auswirkungen.

Erhalt der Lebenstüchtigkeit ist das Ziel

In einem der drei Fälle hatte die Anstaltsleitung das auch ausdrücklich geprüft: Gibt es Rückzugstendenzen? Hat der Insasse kein Interesse mehr an den Dingen, wirkt er perspektiv- und ziellos? Oder gibt es krankhafte Persönlichkeitsveränderungen wie ein Haftpsychose? Unterm Strich sagte die Gefängnisleitung bei allen drei Männern: Die seien noch fit. Zum Erhalt der "Lebenstüchtigkeit" nach Entlassung sei die bewachte Ausführung nicht notwendig.

Das ist ein falscher Ansatz, sagen jetzt die Verfassungsrichter. Die Gefängnisse dürften nicht abwarten, bis jemand geschädigt wirke. Sie müssten schon früher darauf achten, dass die Gefangenen lebenstüchtig bleiben. So dass sie sich nach ihrer Entlassung im normalen Leben wieder zurechtfinden.

Personalmangel ist kein Argument

Das Resozialisierungsgrundrecht bedeute: Ausführungen sind zu gewähren, es sei denn, es gibt eine konkrete und durch aktuelle Tatsachen belegte Fluchtgefahr. Aber selbst, wenn die Anstaltsleitung Bedenken habe, dass der Betreffende beim Ausgang Ärger machen könnte, sei zu prüfen, ob dann nicht eine Fesselung in Betracht käme.

Und da geben die Verfassungsrichter noch mal einen deutlichen Hinweis in Richtung Politik: Der damit verbundene personelle Aufwand sei hinzunehmen. Sprich: Die Anstalt kann nicht darauf verweisen, sie hätte zu wenig Beamte, um eine streng begleitete Ausführung zu ermöglichen.

Gefängnisleitungen sind verunsichert

Die Entscheidungen des Verfassungsgerichts fallen in eine Zeit, in der es unter den Mitarbeitern der Justizvollzugsanstalten einige Unsicherheit gibt, inwieweit Ausgang zu genehmigen ist. Das Landgericht Limburg hatte im letzten Jahr zwei leitende Gefängnismitarbeiter verurteilt, weil sie einem Insassen Freigang ermöglicht hatten. Der hatte während seines Urlaubs vom Gefängnis mit einem gestohlenen Auto einen Unfall verursacht und dabei eine Frau tödlich verletzt.

Dieser Todesfall war den Gefängnismitarbeitern direkt zugerechnet worden, sie hätten dem Mann keinen Ausgang gewähren dürfen. Nach dieser Verurteilung, die jetzt allerdings noch vom Bundesgerichtshof geprüft wird, waren Gefängnisse vorsichtiger bei der Gewährung von Ausgang geworden. Die Verfassungsrichter signalisieren den Gefängnismitarbeitern und den untere Gerichtsinstanzen jetzt aber: Ausführungen sind notwendig. Ihr müsst sehr genau begründen, wenn ihr die verwehren wollt. Damit sich die Gefangene nach der Entlassung wieder zurechtfinden.


Quelle: Tagesschau.de